Polisphere Logo
24. Februar 2025 16 Minuten

Pflichtsieg mit Hürdenglück: Das Spezial zur Bundestagswahl

Liebe Leserin, lieber Leser,

Pathos hin oder her, die erste Gewinnerin der 21. Bundestagswahl ist die Demokratie. Mit enormen 82,5 % lieferten die Wähler:innen gestern die höchste Wahlbeteiligung seit fast 40 Jahren ab.

Die meisten Stimmen der knapp 60 Millionen Wahlberechtigten landeten erwartungsgemäß bei CDU und CSU. Die Union kann sich gegenüber 2021 zwar verbessern, holt mit 28,6 % aber ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl und bleibt hinter den Werten der letzten Europawahl zurück. Mehr als Randnotizen sind das aber nicht, denn Friedrich Merz wird der zehnte Kanzler der Bundesrepublik, das wichtigste Wahlziel ist erreicht. Warum die Union von der Schwäche der Ampelparteien nicht mehr profitieren konnte, analysiert Holger Schwesinger bei der Tagesschau

Merz‘ Vorgänger Olaf Scholz verabschiedet sich mit 16,4 % und dem schlechtesten Bundestagswahlergebnis der SPD-Historie aus dem Amt. Dem Bundestag bleibt er aber als Parlamentarier erhalten, er setzte sich in Potsdam knapp als Direktkandidat durch. Für einen Nicht-AfDler eine absolute Ausnahme im Osten, siehe unten. Scholz wird keine Koalitionsverhandlungen führen, nun soll es Wahl-Geburtstagskind Lars Klingbeil als Partei- und Fraktionschef richten. Nicole Kohnert über das Ende einer sozialdemokratischen Illusion.

Die AfD ist nicht nur stärkste Kraft im Osten und gewinnt dort auch fast alle Direktmandate – Ausnahmen bleiben nur die Wahlkreise von Olaf Scholz, Bodo Ramelow und Sören Pellmann – sondern fährt auch den größten Zugewinn aller Parteien ein und verdoppelt ihr Ergebnis vom letzten Mal fast: Mit 20,8 % sind die Rechtsnationalen klar zweitstärkste Kraft. In der thüringischen Ortschaft Karlsdorf holte die AfD gar einen Wert von 73,3 %. Warum bei den Rechtsaußen trotzdem gemischte Gefühle herrschen, erklärt Kilian Pfeffer vom ARD-Hauptstadtstudio.

Die Grünen erreichen mit 11,6 % zwar ihr bisher zweitbestes Ergebnis und wurden von den drei Ampelparteien am wenigsten abgestraft. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kanzlerambitionen der Partei krachend gescheitert sind. Spitzenkandidat Robert Habeck zieht Konsequenzen und will keine Führungsrolle mehr bei den Grünen übernehmen. Die Grenzen der grünen Wahlkampfstrategie erläutert Tobias Schulze von der taz.

Zweiter Sieger des Abends ist Die Linke. Auferstanden aus Umfrageruinen ließ sie am Ende mit 8,8 % keinen Zweifel am Wiedereinzug in den Bundestag aufkommen. Dazu brauchte es gar nicht mal die Silberlocken-Lebensversicherung in Person von Gysi, Ramelow und Bartsch, von denen nur der letzte nicht erfolgreich im Wahlkreis war. Dafür ist die Linke bei Jungwählern ganz vorn und holt in Berlin-Neukölln auch das erste Direktmandat im ehemaligen „Westen“. In der Hauptstadt werden sie gar zur stärksten politischen Kraft. Johanna Apel schildert beim RND das unerwartete Comeback der Partei. 

Mit 4,97 % extrem knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist dagegen das BSW, das seit den Ost-Landtagswahlen im Herbst einen beständigen Abwärtstrend erlebt hat. Am Ende fehlten rund 13.435 Stimmen für den Parlamentseinzug. Die Partei erwägt nun juristische Schritte gegen das Ergebnis, auch weil die Wahl im Ausland mit Problemen behaftet war. Für Union und SPD wäre das ein Debakel: Nur das Scheitern des BSW ermöglicht derzeit eine GroKo-Konstellation.

Waterloo statt Feldschlacht. Die FDP erntet mit 4,3 % die Quittung für ihren Ampel-Exit und scheitert nach den 4,8 % im Jahr 2013 erneut am Einzug in den Bundestag. Christian Lindner, eine der prägendsten Gestalten der jüngeren politischen Geschichte, zieht sich daher nach elf Jahren an der FDP-Spitze zurück. Ebenso sein Generalsekretär Marco Buschmann. Einen Rückzug hatte eigentlich auch Wolfgang Kubicki vor, nun will der 72-Jährige aber doch für den Vorsitz der Liberalen kandidieren. Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigt sich offen. Wie und mit wem es bei den Liberalen weitergehen könnte, beschreibt Florian Schmidt bei t-online.

Das SSW erreicht als dänische Minderheitenpartei erneut einen Sitz im Bundestag und kann sich von 55.000 auf 76.000 Stimmen steigern. Die Arbeit des SSW-Abgeordneten Stefan Seidler hat die SHZ vor kurzem porträtiert.

Freie Wähler (1,5 %), Tierschutzpartei (1,0 %), Volt (0,7 %) und DIE PARTEI (0,5 %) müssen hingegen weiterhin von Abgeordneten-Hausausweisen träumen.

Sah es am Wahlabend lange schwierig für eine Regierungsbildung aus, ist die Koalitionsbeschaffung durch die Schicksale von FDP und BSW nun eigentlich recht klar: Die einzige realistische Option ist die altbekannte GroKo, die nun aber gerade mal 12 Stimmen über der absoluten Mehrheit hat. Das Schrumpfen der ehemals “Großen Koalition” zeigt unsere Grafik über die Zeit. Die Neuauflage dürfte allerdings alles andere als eine Liebesheirat werden. Zumal einige in der SPD auf ein Mitgliedervotum über den noch auszuhandelnden Koalitionsvertrag pochen.

Merz will die Regierungsbildung bis Ostern abschließen. Wie lange die Koalitionsverhandlungen nach den letzten Wahlen andauerten und welche Termine dafür in dieser Woche und mittelfristig  anstehen, hat die Politikberatung ADVERB zusammengetragen. Warum der CDU-Chef angesichts der aktuellen Weltlage den Schlamassel doch lieber weiter Scholz überlassen sollte, erklärt Stefan Kuzmany in einer Glosse. Weitere Hintergründe zur Wahl:

  • Das vorläufige amtliche Endergebnis inklusive Klein- und Kleinstparteien gibt es bei der Bundeswahlleiterin.
  • Eine interaktive Wahlkreiskarte und Auswertung der Ergebnisse präsentiert die Süddeutsche. Für Berlin hält der Tagesspiegel dies bereit.
  • Die Wählerwanderungen analysiert die ARD.
  • Die deutschen und internationalen Pressestimmen hat der Spiegel zusammengetragen.
  • Die Reaktionen der Spitzenkandidat:innen dokumentiert das ZDF.
  • Laut Donald Trump ist der Sieg der Union ein “großartiger Tag für Deutschland”. Weitere internationale Reaktionen versammelt die Zeit.
  • Bilder vom Wahltag präsentiert der NDR.
  • Den Wahlabend im Fernsehen schildert der Spiegel im TV-Protokoll.
  • Von Tünkram und Höllentoren: Die besten Zitate des Wahlkampfs hat die Frankfurter Rundschau
  • Welche Falschinformationen zur Wahl am Sonntag kursierten, erklärt der ARD-faktenfinder.
  • Extreme statt Zitrus: Im Vergleich zu 2021 haben besonders die Jungwähler:innen sehr anders abgestimmt, wie der Tagesspiegel zeigt. Eine entsprechende Trendstudie greifen wir im politticker auf.
  • Die Ranglisten der Spitzenkandidat:innen in den sozialen Medien hat das RND zusammengestellt.
  • Das TikTok-Race von Heidi Reichinnek, Alice Weidel und Co zur Bundestagswahl haben wir nachgezeichnet.
  • Was die schrumpfende Zahl der Abgeordneten für das Parlament bedeutet, erläutert die Tagesschau.
  • Bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages, die bis zum 25. März 2025 erfolgen muss, könnte sich die Linke noch über eine andere Sache freuen: Gregor Gysi, der mit 41,8 % das beste Erststimmenergebnis der Linken holte, wird voraussichtlich neuer Alterspräsident des Bundestags. Auch der jüngste Abgeordnete hat ein tiefrotes Parteibuch.
  • Der neue Bundestag wird (noch) männlicher sein: Die Frauenquote sinkt von 34,8 % auf 32,4% Bei den Grünen sind es 61,2 %, bei der AfD gerade mal 11,8 %.
  • AfD und Linke haben nun zusammen eine Sperrminorität im Bundestag. Was das bedeutet erklärt die RP.
  • Kanzleramtsminister und langjähriger Scholz-Vertrauter Wolfgang Schmidt scheitert in Hamburg mit seiner Direktkandidatur an Till Steffen und wird nicht in den Bundestag einziehen.
  • Das Duell der beiden Fraktionschefs Katharina Dröge und Rolf Mützenich in Köln entschied die Grüne knapp für sich.
  • Der Virologe Hendrik Streek wird für die CDU im neuen Bundestag sitzen. Andere Promi-Wahlsieger:innen kennt n-tv.
  • Dorothee Bär fuhr das beste Erststimmen-Ergebnis in ganz Deutschland ein: 50,5 % bekam die CSU-Politikerin, Friedrich Merz holte mit 47,7 % den Spitzenwert für die CDU, Tino Chrupalla mit 48,9 % bei der AfD, Lars Klingbeil mit 42,1 % für die SPD, Sven Lehmann mit 34,1 % für die Grünen.
  • Viele Spitzenpolitiker verloren ihre Wahlkreise: u. a. Christian Lindner (gegen die Tochter von Wolfgang Bosbach), Michael Müller, Robert Habeck, Ex-Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang, Philipp Amthor und Carsten Schneider (mit 8 % sehr deutlich gegen Bodo Ramelow).
  • Gerade mal 16 Stimmen betrug der bisher knappste Stimmenunterschied in Stuttgart zugunsten von Simone Fischer von den Grünen. Das Ergebnis ist aber noch nicht final.
  • 23 Wahlkreise werden durch das neue Wahlrecht nicht mit direkt gewählten Kandidierenden im neuen Bundestag vertreten sein. Frankfurt am Main hat es etwa besonders hart getroffen. Gleichwohl ziehen viele Kandidat:innen aus diesen Wahlkreisen über die Liste ein. Nur vier Regionen sind „Vollwaisen“: Darmstadt, Tübingen, Lörrach und ein Teil von Stuttgart. Diese können aber von benachbarten Direktmandaten vertreten werden. Merz kündigte nun an, das Wahlrecht erneut ändern zu wollen.
  • Ebenfalls sind es 23 Kandidat:innen der Initiative BrandNewBundestag, die es ins Parlament geschafft haben. Bei der politischen Talentschmiede JoinPolitics sind es derer fünf.
  • Die besten Memes zur Bundestagswahl zeigt unser Fundstück.

Nächsten Sonntag wird übrigens schon wieder gewählt, diesmal aber nur in Hamburg, wo die SPD laut Umfragen komfortabel in Führung liegt. Alles, was zur dortigen Bürgerschaftswahl im Vorfeld wichtig ist, erläutert dieses FAQ. Die Ergebnisse präsentieren wir Ihnen dann natürlich wieder per Wahlspezial.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff


Tickermeldungen

Ukraine & Russland

Parteien & Parlamente

Ministerien & Behörden

Demokratie & Gesellschaft

Lobbyismus, Politikberatung & Interessenvertretung

Personalien

Politische Kommunikation

Künstliche Intelligenz

Social Media


Wir verwenden Cookies

Hilf uns, deine Erfahrung zu verbessern, indem du unsere Cookies akzeptierst. Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung