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2. Dezember 2024 13 Minuten

Freiwillig Demontierte Partei

Liebe Leserin, lieber Leser,

fast hätte es die FDP geschafft.

Der erste Wirbel um die „D-Day-Leaks“ war auf gutem Wege, im beginnenden Wahlkampf unterzugehen. Doch am Donnerstag wurden die Liberalen davon jäh eingeholt. Nachdem ein Papier zur berühmt-berüchtigten Ampel-Exit-Strategie an die Öffentlichkeit kam (erst nach Presseanfragen bei Table.Briefings, dann stellte die Partei es auf die eigene Website), musste Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in einer der wohl kürzesten Rücktrittsankündigungen (ganze 45 Sekunden) seinen Posten räumen. Auch Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann, der mutmaßliche Verfasser des Papiers, folgte am gleichen Tag. Keine drei Monate vor der Bundestagswahl muss die FDP somit die zentralsten Posten für den Wahlkampf neu besetzen.

Man kann nun von Christian Lindner halten was man will, das kommunikative Handwerkszeug kennt der begnadete Redner und Wahlkämpfer. Ob er es immer richtig einsetzt, ist eine zweite Frage. Auf X meldete er sich mit einem Video zu Wort, nachdem er in den vergangenen Tagen versuchte, in Nachrichten und Talkshows Schadensbegrenzung zu betreiben. Das Papier habe er „nicht zur Kenntnis genommen„. Der feine inhaltliche Unterschied zwischen „etwas zur Kenntnis nehmen“ und „etwas wissen“ bleibt bemerkenswert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein so brisantes Papier in diesen Zeiten am Parteichef vorbeigeht, bewegt sich dennoch auf dem Niveau der aktuellen FDP-Umfragewerte.

  • Neuer Generalsekretär wird nun Marco Buschmann, den der Spiegel im aktuellen Lichte porträtiert. Erste Wahl war aber wohl Marie-Agnes Strack-Zimmermann, wie das gleiche Medium berichtet.
  • Carsten Reymann veröffentlichte neben seiner offiziellen Rücktrittserklärung auch einen Brief an die Parteimitglieder. Wer ihn als Bundesgeschäftsführer beerbt, ist noch unklar.
  • Ex-Schatzmeister Harald Christ wird es auf jeden Fall nicht. Der ist nun aus der FDP ausgetreten.
  • Die Liberalen im Nordosten gehen nach einem internen Streit gleich ohne Generalsekretär in den Wahlkampf.
  • „Lindner steht auf einer Tretmine“, kommentiert Kommunikationsberater Marcus Ewald das krisenkommunikative Verhalten der Liberalen bei t-online im Duktus des Papiers.
  • Aus gleichem Anlass hat Evelin Ruhnow beim Spiegel einen Brief vom Lügenbaron Münchhausen an Lindner in einer Satire verfasst.
  • Die „überspezifischen Antworten“ des FDP-Chefs in den jüngsten Interviews erklärt Robert Pietsch.
  • Auf Unterschiede in den Versionen des FDP-Papiers weist Robert Pausch auf X hin.
  • Die Reaktionen der politischen Konkurrenz hat der Spiegel zusammengestellt.
  • Humoristische Netzreaktionen versammelt der WDR.
  • Vor exakt zehn Jahren gab es übrigens schon mal eine Pyramide in einem FPD-Papier, allerdings mit weit weniger Auswirkungen.
  • Egal, wie die Bundestagswahl ausgeht, im März kann Christian Lindner sich zumindest privat freuen: Der FDP-Chef wird Vater.
  • Merchandise-Ideen zur aktuellen Lage hat der FDP-Parteishop (siehe Fundstück der Woche).

Olaf Scholz wird das Geschehen mit Genugtuung verfolgen, wenngleich er wenig Zeit dafür hatte: Die SPD hat am Wochenende ihre Wahlsiegkonferenz im Willy-Brandt-Haus abgehalten und wurde dabei nur kurz von der „heute show“ gestört. Die Wahlkampagne wurde bereits im Vorfeld präsentiert und greift mit dem Slogan “Wir kämpfen für Dich” ebenfalls in die Schublade des Kriegsvokabulars.

  • Ob diese Kampagne zu martialisch wirkt, überlegt Johan Schloemann bei der SZ.
  • Nach der Konferenz machte sich Scholz wohl auf den Weg in die Ukraine. Über seinen Überraschungsbesuch in Kyjiw – den zweiten seit Kriegsbeginn 2022 – berichtet das ZDF.
  • Über die Ukraine sprach Scholz auch in seinem Interview im “Lage der Nation”-Podcast.
  • Populismus-Kritik bekam er allerdings für seine Warnung an Merz vor einem „Russisch-Roulette“-Spiel mit der Sicherheit Deutschlands.
  • Wie die SPD-Basis mit der lange unentschiedenen Konkurrenz zwischen Scholz und Pistorius als Kanzlerkandidaten umgeht, beleuchtet die Tagesschau.

Die CDU hingegen startete mit einem kleinen, aber klassischen Fauxpas in den Wahlkampf. Unter dem Motto „Wieder nach vorne“ präsentierte die Partei erste Eindrücke ihrer Kampagne – allerdings mit einem Bild aus Dänemark statt Deutschland. Auch die Schwesterpartei CSU hatte vergangene Woche kurzzeitig ein  Kommunikationsproblem – mit einem ihrer Instagram-Kanäle, der zum Ziel von Hackern wurde. Ändert aber alles nichts daran, dass die Union nach wie vor beste Aussichten auf einen Wahlsieg hat. Die FAZ fährt schon mal die Minister:innen des Kabinetts Merz auf. Warum das wohl recht wenig Frauen beinhaltet, analysiert Livia Gerster.

Wieder nach vorne ist auch Angela Merkel getreten. Die Alt-Kanzlerin stellte ihr Buch „Freiheit“ am Dienstagabend im Deutschen Theater in Berlin vor und gewährte einige Einblicke in ihre Regierungsjahre – und bekommt dafür sogar eine Entschuldigung des Kreml-Chefs.

  • T-online hat mit ersten Käufer:innen gesprochen und fasst kontroverse Meinungen zusammen.
  • Eine Kurzrezension bietet zudem unsere Rubrik Buch der Woche.
  • Warum Merkels “Männer!”-Zitat zu kurz greift, beschreibt Lukas Wallraff in der taz mit Blick auf die Frontfrauen der internationalen Rechten.
  • Den Titel der Memoiren hat die FAZ (€) genauer unter die Lupe genommen.
  • Nicht nur wegen der 35.000 verkauften Exemplare am ersten Tag muss sich Merkel kaum Gedanken um ihre finanzielle Absicherung machen: Wie es um Merkels Altersbezüge als Ex-Kanzlerin bestellt ist, zeigt Business Punk.

Sollten Sie am 23. Februar noch nichts vorhaben, in Berlin leben und sich finanziell auch ein kleines Zubrot verdienen wollen: Die Hauptstadt sucht noch Wahlhelfer:innen und gewährt sogar 120 € „Erfrischungsgeld“. Zur Online-Anmeldung geht es hier. Ob das Winterwetter die Ergebnisse beeinflussen wird, hat der Tagesspiegel eruiert (€).

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff


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