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3. März 2025 13 Minuten

Elbharmonie und Epochenbruch

Liebe Leserin, lieber Leser,

es passiert nicht oft, dass eine Landtagswahl zur politischen Nebensache gerät.

Dennoch zuerst nach Hamburg, wo die Welt noch (weitgehend) in Ordnung ist, zumindest für die gebeutelte rot-grüne Restampel. Bei der gestrigen Bürgerschaftswahl gewann die SPD mit 33,5 % und wird weiter mit Scholz-Nachfolger Peter Tschentscher den Bürgermeister stellen. Die Grünen verloren mit 18,5 % zwar genauso viel wie die Sozialdemokraten (je -5,7), bleiben aber wohl alter und neuer Koalitionspartner – auch wenn SPD und CDU ebenfalls sondieren wollen. Die Elb-CDU gewinnt fast 9 Punkte hinzu und wird mit 19,8 % zweitstärkste Kraft. Linke (11,2 %) und AfD (7,5 %) gewinnen leicht hinzu, während sich die FDP halbiert und mit 2,3 % sogar hinter Volt (3,3 %) landet. Das BSW spielt mit 1,8 % keine Rolle. Die Wahlbeteiligung stieg mit 67,6 % erneut etwas an. Warum Hamburg so gewählt hat, analysiert das ZDF, die nächsten Schritte im Stadtstaat listet der Spiegel auf. Weitere Hintergründe zu den einzelnen Parteien:

  • Warum der Erfolg der SPD trotz des negativen Bundestrends ein Sieg von Tschentscher ist, erklärt die FAZ.
  • CDU-Spitzenkandidat Dennis Thering sieht beim NDR auch den Anteil von Friedrich Merz an den Zugewinnen und plädiert nun für ein rot-schwarzes Bündnis.
  • Die Grünen könnten zwar weiter mitregieren, stecken aber in einem strategischen Dilemma, findet Jan Kahlcke von der taz.
  • Was der zweistellige Erfolg der Linken mit der Performance des BSW zu tun hat, erläutert seine Kollegin Kaija Kutter.
  • Die AfD bleibt in der Hansestadt einstellig. Wer und warum sie wählte, zeigt die Auswertung der Tagesschau.
  • Die FDP scheitert deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde und ist erneut nicht in der Bürgerschaft vertreten. Woran das liegt, ergründet Phoenix im Video.

Eine Woche zuvor bei der Bundestagswahl schnitt die SPD in Hamburg mit 22,7 % noch deutlich schlechter ab, während alle anderen Parteien etwas besser dastanden. Offensichtlich ein Verdienst des amtierenden Bürgermeisters, dessen Erfolgsrezept der Spiegel beleuchtet. Weitere Hintergründe zur Wahl:

  • Das vorläufige amtliche Ergebnis der „vereinfachten Auszählung“, wie es in der Hansestadt heißt, gibt es hier.
  • Das besondere Hamburger Wahlsystem mit fünf Wahlkreisstimmen und fünf Landesstimmen, erläutert Wahlrecht.de.
  • Eine interaktive Wahlkreiskarte präsentiert das Hamburger Abendblatt.
  • Wie die Wähler:innen zwischen den Parteien wanderten, analysiert die Tagesschau.
  • Bilder zur Wahl hat das Abendblatt (€).
  • Bei den Erstwählenden erreichte die Linke sogar Platz 2, wie diese Auswertung zeigt.

Die nächsten Landtagswahlen steht nun erst im Frühjahr 2026 in Baden-Wüttemberg und Rheinland-Pfalz an.

Bis dahin liegt der Fokus also voll auf der Bundespolitik. Die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD haben am Freitag begonnen und stehen durch den Bruch von Washington (siehe unten) unter noch größerem Druck. „Offen, konstruktiv“ und bisher auch recht vertraulich ging es zu. Zumindest bis gestern zwei Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur sowie eine außerordentliche Sitzung des (alten) Bundestags im Raum standen, bevor die neue Sperrminorität durch AfD und Linke greifen könnte.

  • Union und SPD entsenden je neun Verhandler zu den Gesprächen. Die kompletten Verhandlungsteams kennt die Süddeutsche.
  • Warum Merz sein Verhandlungsteam erweitern musste, weiß der Merkur.
  • Für mediale Aufregung sorgte allerdings das Foto einer anderen Runde um Merz und Co, wie die Süddeutsche zeigt.
  • In der SPD sorgt das schwache Wahlergebnis derweil für Unruhe gegenüber Lars Klingbeil als neuem starken Mann der Partei. Der Parteinachwuchs rebelliert unter dem Motto „SPD 2029 – Wir müssen reden„.
  • Die möglichen Knackpunkte der Verhandlungen kennt der DLF.
  • Da von einer GroKo angesichts der Mehrheitsverhältnisse keine Rede mehr sein kann, denkt Richard Friebe vom Tagesspiegel über einen neuen Namen für das Bündnis nach.

Nicht nur in den Sondierungen sorgte eine umfangreiche Kleine Anfrage der Union zur politischen Neutralität von NGOs für Aufregung. Sage und schreibe 551 Fragen zu 17 verschiedenen Organisationen wie Omas gegen Rechts, Amadeu Antonio Stiftung, CORRECTIV, BUND und Greenpeace finden sich in der Drucksache. Viele davon waren bei den Protesten gegen Rechts nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD engagiert. Die Union erkundigt sich nun nach der staatlichen Förderung dieser Organisationen und hinterfragt, ob deren Tätigkeiten mit ihrer Gemeinnützigkeit im Einklang stehen. Die Anfrage hat heftige Kritik hervorgerufen und wird vielfach als Angriff auf die Zivilgesellschaft verstanden.

  • Fakten und eine Übersicht zur Anfrage liefert der Tagesspiegel.
  • Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anfrage formulieren sowohl Werner Koller auf LinkedIn als auch Sophie Schönberger beim Verfassungsblog.
  • CORRECTIV beantwortete die Fragen kurzerhand direkt selbst.
  • Die Diskussion dazu dokumentiert auch LinkedIn mit gesammelten Reaktionen.
  • Das von den Grünen geführte Familienministerium hatte bereits zuvor ein Schreiben an geförderte Organisationen verschickt, in dem es auf die Verpflichtung zur staatlichen Neutralität hinwies.
  • Die Debatte um die politische Neutralität von NGOs geht zurück auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs im Fall Attac, das die Grenzen politischer Betätigung für gemeinnützige Organisationen definierte.
  • Die 551 Fragen der Anfrage hat der Postillon in typischer Manier verarbeitet.

Ganz und gar nicht neutral ging es am Freitag im Weißen Haus vonstatten: Zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr SelenskyjDonald Trump und seinem Vize JD Vance kam es zu einem heftigen Zerwürfnis vor laufenden Kameras (hier im Video), dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. In beispielloser Art und Weise platzte das Treffen vor den Augen der Weltöffentlichkeit – und einem zufällig anwesenden TASS-Reporter. Der Kreml reagiert begeistert auf den von der US-Seite durch Nickeligkeiten, Bloßstellungen und Provokationen herbeigeführten Bruch mit einem (ehemaligen) Verbündeten.

Für eine Fortsetzung der Gespräche sieht es derzeit schlecht aus, es steht gar ein Ende der US-Unterstützung für die Ukraine im Raum. Zurückgekehrt in Europa holt sich Selenskyj Solidarität und Unterstützungsbekundungen ab. Christoph Prössl über die “Koalition der Willigen”, die sich gestern in London formierte, aber heute schon Risse zeigt.

  • Die Reaktionen aus Europa präsentiert die Tagesschau, die der US-Medien versammelt das ZDF. Die internationalen Pressestimmen kennt der Spiegel.
  • Den Eklat im Wortlaut hat der Spiegel dokumentiert.
  • Die Atmosphäre im Oval Office schildert eine anwesende Journalistin der BBC sowie unser Fundstück.
  • Tristan Fiedler sieht Selenskyj dennoch als Gewinner, weil er Trumps Bluff enttarnt habe.
  • Selenskyjs Krisenkommunikation nach dem Treffen beleuchtet der Tagesspiegel gemeinsam mit Julius van de Laar.
  • Wie oft der ukrainische Präsident den USA bereits gedankt hat, zeigt ein Faktencheck von CNN.
  • Russland und die USA entsenden derweil wieder Botschafter ins jeweils andere Land. Der Spiegel über die diplomatische Annäherung.
  • Auch in puncto Nord Stream 2 (sic!) soll es eine Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau geben. Auf Anordnung des neuen Verteidigungsministers Hegseth werden zudem Cyberoperationen gegen Russland vorerst eingestellt
  • Währenddessen erneuert Elon Musk die Drohung aus NATO und UN auszutreten.
  • Wie sich Trumps Äußerungen auch auswirken können, zeigt hingegen Kanada.

Zum Abschluss noch ein Abschied: Mit Bernhard Vogel ist nun der einzige deutsche Politiker gestorben, der nach 1945 Ministerpräsident in zwei Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Thüringen) gewesen ist. Der SWR widmet ihm einen Video-Nachruf.

Mit den besten Grüßen zum Wochenstart

Philipp Sälhoff


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